Entscheidungsfrei
Es war eine erfolgreiche Konferenz, die acrps 2023 Ende März in Leipzig. Knapp 600 Teilnehmer, davon rund 550 vor Ort, waren ein neuer Teilnehmerrekord. Man hat das Bedürfnis gespürt, sich nach vier Jahren, die acrps 2021 war eine virtuelle Veranstaltung, endlich wiedersehen und austauschen zu können. Das Konferenzprogramm war voll mit interessanten Themen und die Vorträge wurden durchwegs positiv bewertet, wie auch die Konferenz selbst. Es passiert also etwas in der Fachwelt, auch in Bezug auf technische Neuerungen und neue Vorhaben. Im Fokusteil dieser eb-Ausgabe finden sich Impressionen der acrps 2023.
Die Vorträge haben auch gezeigt: Die Industrie und die Consultingunternehmen tun sehr viel dafür, um den Anteil der elektrischen Traktion weiter zu erhöhen. Es gibt neue Ideen, wie Oberleitungsanlagen schneller gebaut und wie Strecken elektrifiziert und in das zentrale Versorgungsnetz eingebunden werden können, ohne dass neue Übertragungsleitungen abseits der Bahntrassen zu bauen sind. Es gibt Ideen und Vorschläge, wie erneuerbare Energien entlang der Bahnstrecken effektiv genutzt oder Akkumulatortriebzüge durch kompakte Ladestationen schneller eingesetzt werden können. Das alles wurde mit Engagement und Überzeugung präsentiert und diskutiert.
Gleichwohl haben sehr viele den Eindruck, dass es nicht schnell genug geht. Was getan werden müsste, um die Ziele der Politik zu erreichen, ist im Wesentlichen bekannt – jedes Jahr müssten rund 500 Streckenkilometer elektrifiziert werden. Das ist nicht unmöglich und wurde in der Vergangenheit auch erreicht. Heute ist das allerdings schwer vorstellbar, bei all den derzeit einzuhaltenden Regelwerken, Prozeduren, den sich immer weiter verschärfenden Arbeitschutzvorschriften und der begrenzten Verfügbarkeit von Planern, Planprüfern und schlussendlich auch von denjenigen, die das alles im Bau umzusetzen haben.
Während der acrps 2019 gab es ein Umfrage unter den Konferenzteilnehmern, ob sich die Ziele der Poltik hinsichtlich der Elektrifizierung in Deutschland im absehbarer Zeit realisieren lassen, und das in einem Gremium von Teilnehmern, die sich tagtäglich damit beschäftigen. Die Antwort war eindeutig: Zwei Drittel antworteten damals mit Nein und meinten mehrheitlich auch, dass dafür mindestens 15 bis 20 Jahre erforderlich sind. Das war die Antwort von vor vier Jahren, und man muss fast annehmen, dass die Antworten heute nicht viel anders aussehen würden. Denn es kommen zu den Neuelektrifizierungen in wesentlichem Umfang auch noch Erneuerungen an bereits elektrifizierten Strecken hinzu.
Was kann also dazu beitragen, damit der Anteil elektrischer Traktion schneller steigt? Allen ist klar: Schnellverkehr, leistungsfähiger Nahverkehr und schwerer Güterverkehr gehen nur mit Oberleitung. Aber es gibt Ergänzungsstrecken, auf denen eine Elektrifizierung mit einer Oberleitung nicht öknonomisch ist oder deren Elektrifizierung noch einige Jahre dauert. Hierfür bieten sich zweifelsohne Akkumulatortriebzüge an, die eine akzeptable Energieeffizienz aufweisen, die sich auch als Zwischenlösung eignen und die später auf mit Oberleitung ausgerüsteten Strecken weiter betrieben werden können. Auf der acrps wurden Lösungen präsentiert, wie derartige Fahrzeuge mit relativ einfachen Mitteln mit Traktionsenergie versorgt werden können.
Nur stimmen dafür auch die sonstigen Rahmenbedingungen? Ein Regelwerk hinkt der technischen Entwicklung zwangsweise hinterher. Was genormt werden kann, muss vorher getestet und für einsatzbereit befunden werden. Normen spiegeln die anerkannten Regeln, nicht aber den Stand der Technik wider. Man muss also bereit sein, diesen Stand der Technik auch einsetzen zu wollen – und ja, auch ein gewisses unternehmerisches Risiko zu tragen. Was die Ladetechnik betrifft, ist beispielsweise die regulatorische Unterscheidung in (Bahn-)Infrastruktur oder Serviceeinrichtung nur bedingt nachvollziehbar, zumal es vergleichbare Technik ist. Und das ist ein rein deutsches Thema. Das resultiert mitunter in Lösungen, die der Sache nicht dienlich und unnötig sind.
Und dann gibt es noch die Frage der Technologieoffenheit. Man könnte auch meinen, das ist Entscheidungsfreiheit. Im Grunde ist es richtig, dass für den technischen Fortschritt viel auszuprobieren ist. Nur so findet man zukunftsweisende Lösungen. Bei der Bahn gibt es aber besondere Anforderungen, da muss viel zusammenpassen, muss austauschbar und langlebig sein. Als die Bahnen noch selbst für die technische Entwicklung zuständig waren, hat vieles zusammengepasst. Man konnte Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller miteinander kuppeln und betreiben. Heute gelingt das nicht einmal mehr bei Fahrzeugen eines Herstellers. Und wenn man daran etwas ändern möchte, ist das weniger ein technisches Problem als vielmehr formaler Aufwand. Dieser
Vergleich hinkt, weil die Anforderungen von heute komplexe Lösungen erfordern. Wenn man aber sieht, wie viele Akteuere heute im Bahnsektor zu koordinieren sind, ist genau das verwunderlich, und das auch noch mit begrenzten Ressourcen.
Auch für eine acrps 2025 wird es genügend Themen geben.
Dr. Steffen Röhlig
Chefredakteur