Fahrleitung – ja bitte!

Bahntechniker können beim Betrachten des Titelfotos ins Schwärmen geraten. Auf seine Weise sieht die Fahrleitungsanlage fast schon ästhetisch aus – noch dazu bei dieser Beleuchtung. Und auf dem Bild sind einige Details zu erkennen, um die es in dieser eb-Ausgabe geht. Es geht unter anderem, zugegeben wieder einmal, um die Bespannung von Weichen mit Oberleitungen. Offensichtlich ist hierzu noch längst nicht alles gesagt. Hohe Befahrgeschwindigkeiten erfordern eben doch, das scheinbar Bekanntes noch einmal beleuchtet werden muss. Es kommt mitunter aufs Detail an.

Beim zweiten Fahrleitungsthema geht es stattdessen um die Strombelastbarkeit der Schnittstelle Fahrleitung/Stromabnehmer, genauer gesagt Fahrdraht/Schleifleiste. Mit der Einführung von Akkumulatortriebfahrzeugen rückt das Laden über die Schnittstelle Fahrleitung/Stromabnehmer im Stillstand der Fahrzeuge in den Fokus. Das ist eine noch junge Fragestellung in dieser Ausprägung. Die derzeit zulässigen Maximalströme im Stillstand lassen nur eine begrenzte Ladeleistung zu und bestimmen damit die notwendige Ladezeit. Die Ströme sind bei Gleichstrom höher, womit jedoch die deutlich geringere Fahrleitungsspannung bei weitem nicht kompensiert werden kann. Auf Wechselstrom sind die Werte aufgrund abweichender Schleifleistenmaterialien nicht übertragbar. Es wäre zwar möglich, für den Stillstand so einiges zu optimieren, allerdings sollen die Fahrzeuge auch fahren, und das nicht nur mit geringen Geschwindigkeiten.

Beide Themen zeigen, dass man stets das Gesamtsystem im Auge haben muss. Und es ist sehr positiv zu bewerten, dass es Universitäten gibt, die sich mit derartigen Fragestellungen beschäftigen wollen und auch können. Leider sind es zu wenige. Für die Industrie sind derartige Möglichkeiten unverzichtbar. Sie ermöglichen zum einen das Bearbeiten theoretischer Fragestellungen, für deren Beantwortung im Tagesgeschäft oft nur wenig Zeit zur Verfügung steht. Zum anderen werden junge Fachleute an die Technik herangeführt und stehen nach dem Abschluss ihrer Arbeiten der Industrie zur Verfügung. Und das nicht selten den Unternehmen, die sich die Mühe gemacht haben, Studierende oder Doktoranden zu betreuen.

Apropos Fahrleitung: Es scheint so, dass das Vorhaben, den Anteil der elektrischen Traktion in Deutschland zu erhöhen, doch nicht ganz so schnell vonstatten geht, wie erhofft. Das hat verschiedene Gründe, über die bereits an dieser Stelle nachgedacht wurde. Bei einer der letzten öffentlichen Diskussionen über die Nutzung alternativer Antriebe wurde angeführt, dass Wasserstofftriebfahrzeuge insbesondere auf langen nicht elektrifizierten Strecken ihre Berechtigung haben würden. Das wurde damit begründet, dass es offensichtlich eine Abneigung bei den Anwohnern gegen Fahrleitungsanlagen in der Landschaft gäbe.

Bei der großen Eisenbahn war ein derartiger Einwand bisher eher selten. Er verträgt sich auch kaum damit, dass die Elektrifizierung bestehender Strecken ohne Planfestellungsverfahren möglich sein soll, um den ganzen Prozess zu beschleunigen. Bei Nahverkehrsbahnen, das sind zum Beispiel Straßenbahnen und auch oberleitungsabhängige elektrische Busse, sind derartige Einwände bekannt. Und diese führen auch dazu, dass angedachte Neubauprojekte zumeist aus eher ästhetischen Gründen oder aus Angst vor Einsprüchen abgesagt und nicht weiter verfolgt werden. Derartige Beispiele finden sich unter anderem in Hamburg und in Berlin. Und das geschieht mit dem Wissen darüber, dass elektrische Bahnen und Busse mit Fahrleitung die mit Abstand energieeffzientesten Varianten darstellen. Akkumulatorlösungen kommen den unter Fahrleitung verkehrenden Fahrzeugen am nächsten, sind aber stets energetisch ungünstiger. Die Physik kann man nicht überlisten oder außer Kraft setzen. Akkumulatorlösungen haben zumindest den Vorteil, dass sie eine Zwischenstufe zum fahrleitungsgebundenen Betrieb darstellen und unter Fahrleitung weitergenutzt werden können.

In der Schweiz scheint es die Vorbehalte gegen Fahrleitungen nicht zu geben. Dort ist man praktisch bei 100 %, und auch Straßenbahnen und Obusse werden weiterhin neu gebaut. Es lohnt sich.

Apropos Schweiz: Wie schnell ein Projekt gehen kann, zeigt der dritte Beitrag dieser Ausgabe: Die Umstellung der Uetlibergbahn von Gleich- auf Wechselstrom. Dies geschah vordergründig mit dem Ziel, Engpässe zu beseitigen, die Leistungsfähigkeit und nebenbei auch die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Das man vor komplizierten technischen Lösungen dabei nicht zurückschreckt, zeigt die Errichtung einer niveaugleichen Kreuzung der AC-Eisenbahn mit einer DC-Obuslinie. Derartiges hat Seltenheitswert oder ist gar einmalig. In Deutschland hat es Vergleichbares bis in die frühen 2010er Jahre in Markkleeberg bei Leipzig mit einer elektrifizierten Straßenbahn-/Eisenbahnkreuzung gegeben.

Es gibt immer wieder Neues. Die eb wird die Entwicklung weiter verfolgen.

 

Dr. Steffen Röhlig

Chefredakteur