Ursache und Wirkung
Ursache und Wirkung in rückgekoppelten Systemen sind nicht immer sofort klar. Schwingt das Netz, weil die Regelung falsch eingestellt ist, oder kommt die schlaue Regelung einfach nicht damit zurecht, dass das „doofe“ Netz an einer bestimmten Stelle eine Resonanz hat? Werden die Räder vieleckig wegen zu vieler Kurven, also wegen der Infrastruktur, oder gehen die Schienen in den Kurven kaputt wegen falsch profilierter Räder, oder weil wiederum der Antrieb falsch geregelt wird?
Die Frage nach Ursache und Wirkung kam mir sofort in den Sinn, als vor einigen Wochen eines dieser E-Mails von Verlegern oder Online-Portalen kam. Da stand also, wir sollen froh sein um die „Künstliche Intelligenz“, weil wir mit den immer rarer werdenden Fachleuten sowieso nicht mehr alle Aufgaben bewältigen können.
Einwurf: Ist es nicht vielleicht umgekehrt, und wir haben zu wenig Nachwuchs, weil alle Jungen plötzlich lieber „KI“ studieren, anstatt Regelungstechniker oder Eisenbahningenieurin zu werden?
Damit sind wir bei der Ausbildung, die an dieser Stelle – zu Recht – immer wieder thematisiert und von verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet wird. Ich kann hier nur meine persönliche Erfahrung einbringen. Wir haben seit vielen Jahren stetig steigende Studentenzahlen in den Bahnvorlesungen der ETH Zürich. Es gibt nach wie vor einen schönen Anteil an Studentinnen und Studenten, die sich begeistern lassen von interessanten, rückgekoppelten Systemen, bei denen Ursache und Wirkung nicht sofort klar sind. Zu deren Analyse und Weiterentwicklung braucht es echte Intelligenz. Antworten lassen sich nicht einfach durch Wiederkäuen bekannter Lösungen finden. Maschinelle Methoden wie die „KD“ (die künstliche Dummheit, wie sie von einigen Kollegen genannt wird) bleiben ein Hilfsmittel, das man an geeigneter Stelle einsetzen kann und soll, aber sie als Lösung realer Probleme anzubieten, ist doch eher Ursache und Wirkung vertauscht.
Wie erreichen wir nun die nächste Generation, um sie für die Bahn zu begeistern? Sicher nicht durch spezialisierte Eisenbahn-Studiengänge. Damit fördern wir nur diejenigen, die ohnehin bei uns Karriere machen wollen, alle anderen werden abgeschreckt. Vorlesungen für alle Interessierten, welche nicht nur die Breite des Themas aufzeigen, sondern sich nebenbei auch offen mit kontroversen Fragen auseinandersetzen, helfen mehr. Wir müssen zunächst die Neugier wecken und dann die Vielfalt aufzeigen, ohne technisch an der Oberfläche zu bleiben. Bewährt hat sich auch, Bahnen und Unternehmen direkt von ehemaligen Studienabgängern präsentieren zu lassen, die nur wenige Jahre älter sind als die aktuellen Studenten selbst.
„Warum tust Du Dir das an?“ war die Frage eines Studenten an die junge Ingenieurin nach ihrer Vorstellung der tagesaktuellen und strategischen Probleme im Bahngüterverkehr. Weil sie dadurch ganz viel lernen könne, fachlich, organisatorisch, und mit vielen interessanten Menschen in Kontakt kommt (mit Menschen, nicht mit der „KD“; dies allerdings ein Zusatz von mir).
Ob dieser Standpunkt eine Wirkung hat? Warten wir’s ab. Ursachen für den Wunsch nach qualifiziertem Nachwuchs haben wir ja!
Dr. Markus Meyer
emkamatik GmbH
Lehrauftrag Eisenbahn-Systemtechnik an der ETH Zürich