Wasserstoff und elektrische Traktion (eb 6 | 2020)
Die deutsche Bundesregierung hat sich in jüngster Vergangenheit klar zur Entwicklung und Nutzung des Energieträgers Wasserstoff bekannt. Auf den folgenden Seiten wird hierauf näher eingegangen. Das Ziel ist klar: Bis zum Jahr 2050 will man im Energiesektor Treibhausneutralität erreichen. Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn Wasserstoff mit Hilfe regenerativer Energien bereitgestellt werden kann, und wenn soviel regenerative Energie dafür nutzbar ist, ohne anderen Verbrauchern entzogen zu werden.
Für die Erzeugung von Wasserstoff benötigt man zunächst elektrische Energie. Diese muss irgendwo herkommen. Die heute verfügbare Energie resultiert aus einem Energiemix. Der Anteil regenerativer Energien nahm in den letzten Jahren kontinuierlich zu. Wenn die Sonne stark genug scheint und der Wind stark genug weht, deckt die regenerativ gewonnene Energie den elektrischen Energiebedarf vollständig oder übersteigt diesen sogar. Das heißt, dass zeitweise mehr Energie zur Verfügung steht als abgenommen werden kann. Das zeigt sich schlussendlich auch im Spotpreis für elektrische Energie an der Energiebörse.
Den durch Solar- und Windenergie erzeugten Überschuss an elektrischer Energie in Wasserstoff durch Elektrolyse umwandeln zu wollen, ist naheliegend. Wenn derzeit auch nur begrenzt möglich. Auch wenn bei der Deutschen Bahn der Anteil erneuerbarer Energien an der elektrischen Traktionsenergie für 2019 mit 60 % angegeben wird, für ganz Europa und über alle Sparten hinweg beträgt dieser Anteil nur weniger als 15 % (2016, Quelle: IEA World Energy Balance Databace).
Das heißt, dass so viel Energie für die Elektrolyse und damit zur Erzeugung von Wasserstoff derzeit noch gar nicht zur Verfügung stehen kann. Und: Bei der Elektrolyse beträgt der Wirkungsgrad für Wasserstofferzeugung, Speicherung und Rückumwandlung in elektrische Energie nach derzeitigen Kenntnissen maximal rund 45 %, perspektivisch erwartet man maximal 55 %. Man muss also rund doppelt so viel elektrische Energie in den Kreislauf einbringen, als man am Schluss wieder herausbekommt. Das verbietet die Nutzung nichtregenerativer Energien sowohl für die Herstellung von Wasserstoff als auch für die Nutzung regenerativer Energien in Zeiten, in denen die regenerativ erzeugte Energie direkte Abnehmer findet. Wasserstoff hat den Vorteil, dass er ohne Übertragungsleitungen transportiert werden kann, gleichwohl Transport und Lagerung auch nicht frei von technischen Herausforderungen sind.
Die direkte Nutzung elektrischer Energie oder auch deren Speicherung in Akkumulatoren sind deutlich effizienter als der Umweg über Wasserstoff. In den letzten Monaten wurden batterieelektrische Triebzüge für den Nahverkehr bestellt, die sowohl auf Abschnitten mit und ohne Oberleitung verkehren können und an den Streckenendpunkten nachgeladen werden sollen. Sie werden ab Ende 2022 eingesetzt, vorausgesetzt, die Infrastruktur ist bis dahin vorbereitet. Die Entwicklung der Ladestationen ist im Gange, wenn auch im Vergleich zu den Fahrzeugen mit Verzögerungen. Bereits vor einem Jahr gab es Diskussionen über Förderrichtlinien für die Ladeinfrastruktur, bis heute sind diese jedoch nicht umgesetzt worden.
Hierin zeigt sich wieder einmal, dass sowohl Fahrzeuge als auch Infrastruktur gleichermaßen betrachtet werden müssen. Auch die „behördliche“ Einordnung der Ladestationen ist noch immer nicht endgültig geklärt. Dabei geht es schlussendlich „nur“ um Traktionsenergie.
Man gewinnt derzeit den Eindruck, dass die Wasserstofftechnik als die technische Lösung für die Energie- und Umweltprobleme angesehen wird. Ob und wie die Wasserstofftechnik großräumig in der Zugförderung zum Einsatz kommen wird, muss die Zukunft zeigen. Als Ergänzung ist sie vorstellbar. Als Ersatz hingegen nicht. Es bleibt zu hoffen, dass auch vorhandene und kurzfristig verfügbare Technologien nicht vernachlässigt werden.
Dr. Steffen Röhlig
Chefredakteur