Netzwerke (eb 5 | 2022)
Wer wollte und wer konnte, der hatte ab April 2022 die Möglichkeit, vieles nachzuholen, was zwei Jahre mehr oder weniger nicht möglich war: Es fanden wieder Konferenzen, Tagungen und Symposien statt. Den Beginn machte Anfang April die bereits 47. Schienenfahrzeugtagung in Graz (AT). Ende des Monats war die zweite dcrps-Konferenz in Leipzig das mit über 400 Teilnehmern vor Ort erste größere Branchenevent in Deutschland seit langem. Kurz darauf folgte die 24. Jahresfachtagung der Eisenbahn-Sachverständigen in Fulda, die electrosuisse-Bahnfachtagung in Luzern (CH) und das Rail.S/VDE-Symposium „Sicherheit und Zulassung elektrischer Bahnausrüstungen“ in Dresden. Die zeitliche Ballung war der COVID-19-Pandemie geschuldet. Inhaltlich boten die Veranstaltungen die ganze Bandbreite der elektrischen Bahnen – Fahrzeuge und Infrastruktur für Gleich- und Wechselstrombahnen im Nah- und Fernverkehrsowie alternative Energieträger.
Obwohl die Veranstalter die Tagungen als Hybridveranstaltungen organisierten, nahm die übergroße Mehrheit die Möglichkeit der persönlichen Teilnahme wahr. Einige Fachkollegen sahen sich nach rund zwei Jahren das erste Mal wieder. Zwischenzeitlich blieben einem meist nur die Kontakte via Monitor. Man sah es allen an, die gekommen waren: Es war Zeit, dass man sich wieder sehen und direkt miteinander sprechen konnte. Das war am Lächeln aller Anwesenden zu erkennen. Der fachliche Austausch war wieder direkt möglich. Der Dank gilt all denen, die diese Tagungen organisiert haben, und das trotz der langen Ungewissheit, ob diese überhaupt so stattfinden konnten, wie man sich das vorgestellt hatte. Die Unsicherheit war groß. Aber es hat funktioniert.
Die Branche verspürt Rückenwind. Dem öffentlichen Verkehr und der elektrischen Traktion wird eine bedeutende Rolle auf dem Weg zum Erreichen der Klimaziele zugesprochen. Es gibt so viele Projekte wie lange Zeit nicht. Die Industrie entwickelt Ideen, mit denen sich die elektrische Traktion auf der Schiene und auf der Straße schneller ausbauen lässt. Das alles muss bezahlt werden. Wir durchleben gerade eine Zeit, in der die finanziellen Mittel neu verteilt werden: Die COVID-19-Pandemie ist noch nicht überwunden. Es ist zumindest fraglich, ob sich all das, was man sich vorgenommen hat, in dem geplanten Tempo wird umsetzbar sein. Die Folgen des Krieges in der Ukraine machen deutlich, dass Energie nicht unbegrenzt nutzbar ist. Nicht nur das Thema Dekarbonisierung steht allein im Fokus, sondern Energieeffizienz insgesamt. Noch vor kurzer Zeit stand allein der Preis für die Nutzung von Energie im Vordergrund. Grüne Energie ist nicht zum Nulltarif zu bekommen. Sie muss man sich leisten können. Und es sind zumindest die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, damit deren Nutzung auch ökonomisch einen Vorteil darstellt. Die Technik der Akkumulatorzüge scheint einsatzreif und auch noch energieeffizient zu sein. Sie wird nur von unter Fahrleitung verkehrenden Fahrzeugen unterboten. Derzeit scheint es so zu sein, dass Regelungen und Verordnungen eine Einführung zumindest nicht beschleunigen.
Lieferketten brechen derzeit zusammen. Mitunter verlängern sich die Lieferzeiten dramatisch oder es werden aufgrund fehlenden Materials erst gar keine Angebote mehr abgegeben. All das verzögert Projekte oder die Auslieferung von Fahrzeugen. Das überdeckt derzeit die bisherigen und weiter bestehenden Herausforderungen am Arbeitsmarkt: Die Verfügbarkeit von Ingenieuren und Monteuren, welche für die Umsetzung der Projekte notwendig sind. Diskutiert wurde: Wie bekommen wir den technischen Nachwuchs, der gebraucht wird? Wie kann die Ausbildung so gestaltet werden, dass ein Beruf in der Bahnbranche für junge Studierende oder Auszubildende erstrebenswert wird?
Straße oder Schiene? Diese Frage darf nicht entscheidend sein, wenn es um die Einführung oder den Ausbau der elektrischen Traktion geht. Vor hundert Jahren wurde diese Thematik komplex angegangen. Heute scheint es, dass die Schienen- und Straßenwelt zwei völlig verschiedene Welten sind.
Die vorstehend genannten Themen waren Gegenstand von Begrüßungsworten, Podiumsdiskussionen und Pausengesprächen. Diskussionen dar über wieder anzustoßen, auch das war ein Ergebnis der Tagungen.
Die eb wird in den kommenden Ausgaben in Aufsätzen über die Vorträge der Veranstaltungen berichten, so wie es in dieser Ausgabe mit Beiträgen der dcrps 2022 fortgeführt wird. Es bleibt zu wünschen, dass Netzwerken wirder Normalität wird.
Dr. Steffen Röhlig
Chefredakteur