Normalität? (eb 10 | 2020)

normalitaetMartin Aeberhard | Dr. Markus MeyerLetzthin schrieb Ian Walmsley in einem Artikel in der renommierten britischen Fachzeitschrift „Modern Railways“ über die Zeit nach der Corona-Pandemie: „We will still be led by the same people who buy rubbish trains, pay too much for everything, and respond to the greatest crisis since the war with a face mask.“ Der Satz hat uns nachdenklich gemacht, denn bei uns ist alles anders: Wir haben nur perfekte Züge, alles ist kostengünstig und effizient, und ...

Bereits wenige Tage nach Beginn der Pandemie haben die Medien für die Zeit ab Herbst 2020 die „Neue Normalität“ ausgerufen. Hauptbestandteil: Wir werden alle Masken tragen. Seither arbeiteten sie beharrlich und äußerst erfolgreich auf dieses Ziel hin. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass dies ausserhalb von klar definierten Situationen einen Nutzen hat, wurden keine präsentiert, auch wenn die meisten Journalisten und Politiker im Kreis herum das Gegenteil behaupten.

Neben dem Luftverkehr, der zusätzlich unter unvorhersagbaren Quarantäneregeln leidet, und anderen Branchen hat es auch den Öffentlichen Verkehr hart getroffen. Nur wenige Fahrgäste sind stolz darauf, dass sie einen Beitrag zur Bewältigung der Pandemie leisten, indem sie auch in einem leeren Zug mit Maske sitzen. So wie der damalige Leiter der Abteilung für übertragbare Krankheiten des Schweizer Bundesamts für Gesundheit, der das in einem Interview bekanntgegeben hat. Mit Physik und mit Statistik hat dies nichts zu tun, mit Medizin wohl auch nicht.

Wenn Sie uns kennen, wissen Sie, dass wir keine großen Freunde von überdimensionierten RAMS-Studien sind. Im gegebenen Fall wäre aber eine auch öffentlich anerkannte, saubere Anwendung dieser Methodik ein erster Schritt, um die Situation vielleicht doch ein bisschen besser zu beherrschen, und nicht nur Panik und Populismus regieren zu lassen. Etwas mehr Engagement von Seiten der Entscheidungsträger im öffentlichen Verkehr dürfen wir uns schon wünschen. Es ist allzu bequem, sich einfach bis auf weiteres mit Staatsgeldern über Wasser zu halten, wenn die Passagiere wegbleiben, während der Strassenverkehr boomt wie nie zuvor. Wie lange kann sich die Gesellschaft ein Verkehrssystem leisten, das nicht mehr richtig genutzt wird?

Doch zurück zu den Zügen, die ja das Thema von eb - Elektrische Bahnen sind. Erfreulich ist, dass insbesondere sinnvolle langfristige Entwicklungen bisher kaum von Kürzungen betroffen sind. Die Erprobung umweltfreundlicher Antriebe geht weiter, Systemkonzepte werden studiert, Anwendungen vorgeschlagen, Bestellungen abgearbeitet und Fahrzeuge ausgeliefert. Parallel müssen wir uns ständig fragen, wo es notwendig ist, sich von der „alten Normalität“ abzugrenzen: Schlechte Züge, zu teure Anlagen, unsinnige Normen, ungeeignete Betriebskonzepte ...? Für alles lassen sich Beispiele und Gegenbeispiele finden. Dies zu diskutieren ist unter anderem die Aufgabe von Fachtagungen, wie die schon im letzten Editorial angekündigten drei im November. Im Internet, durch reale Treffen, oder zu Anlässen, die doch nochmals ein paar Monate verschoben wurden, bis sie wieder „normal“ stattfinden können.

Wichtig bleibt: lassen wir uns dabei keinen Maulkorb verpassen!

Martin Aeberhard | Dr. Markus Meyer
Mitglieder des Programmkomitees der Electrosuisse-Bahntagung